Der Kontrabass im Bluegrass
von Felix G. — Low Frequency Provider
Zu versuchen, Musik in Worten zu beschreiben, ist immer ein wenig, als müsste man ein komplexes Gemälde beschreiben. Ich möchte dazu ermutigen, Aufnahmen anzuhören oder, noch besser, dabei zu sein.
Die kurze Handreichung für alle, die keine Lust haben, seitenlange Ausführungen zu lesen:
- Einfach halten: Der Bass gibt den anderen Spielern tonale Orientierung. Mit Akkordgrundton und abwechselnder Unterquinte macht man meistens nichts falsch. Wem das zu langweilig ist, der kann zusätzlich singen.
- Pünktlich sein: Timing ist alles! Wenn ein Ton nicht hundertprozentig sauber intoniert ist, wird das wahrscheinlich keiner merken – wenn er zu früh oder zu spät kommt, schon. Der Bass spielt normalerweise auf 1 & 3; er bildet gemeinsam mit der Mandoline (die hackt auf 2 & 4) den Motor.
- Unten bleiben: Der Bass ist für die tiefen Töne da – hohe gibt es schon genug. Das hat übrigens den Vorteil, dass beim Bass die Toleranzen zwischen „zu laut“ und „zu leise“ recht groß sind. Wenn man ohne schnelle Läufe, Synkopen und Ausflüge in die oberen Register partout nicht leben kann, sollte man das unauffällig tun.
- Guter Ton: Die Saiten werden gezupft, üblich ist ein eher dunkles, weiches Klangbild. Slappen ist nicht so verbreitet, mit dem Bogen spielen gar nicht. Ein Instrument einfacher Qualität reicht aus – wichtiger sind Spielbarkeit und gute Saiten.
- Sicher sein: Während die anderen Instrumente mit Soli brillieren, sich abwechseln und auf Sessions oft mehrfach vertreten sind, spielt meist nur ein Bassist. Wenn er aussetzt oder sich verhaspelt, weil er Ablauf oder Akkorde vergessen hat, wird das mit Sicherheit auffallen – möglicherweise sogar negativ.
Und nun zum blumigen Teil… Ohne ausgewiesener Experte oder eingefleischter Bluegrass-Konsument zu sein, maße ich mir an, ein wenig von dem weiterzugeben, was mir in den letzten Jahren zugeflogen ist. Dem Connaisseur mag aufstoßen, dass hier immer nur von „Bluegrass“ die Rede ist – einer speziellen Spielart amerikanischer Volksmusik. Die Betrachtungen ließen sich auch auf andere Gattungen der „Roots Music“ ausweiten, aber irgendeinen Namen muss man dem Kind schließlich geben.
Zunächst einmal sei gesagt, dass es eigentlich nicht so wichtig ist, ob man Kontrabass oder E-Bass spielt. Es gab und gibt Bassisten, die an der Bassgitarre hervorragende Arbeit leisten. Der Kontrabass überwiegt jedoch – er hat eine Würde in Klang und Erscheinung, die einem hochglanzlackierten Brett schlicht fehlt. Außerdem handelt es sich um akustische Musik, ein rein akustisch arbeitendes Instrument passt da einfach besser hinein. Nur sollte man am E-Bass der Versuchung widerstehen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Töne zu spielen.
Beim Kontrabass, einem jahrhundertealten Instrument mit reicher Tradition, wird die ganze Volkstümlichkeit und Bodenständigkeit des Bluegrass offenbar. Nota bene: Wir sprechen von den Wurzeln des Bluegrass. Die Menschen, welche über Schallplatte und Radio dieser Musik zu unsterblichem Ruhm verhalfen, waren meist Berufsmusiker und hatten mit dem wochenendlich oder feierabendlich musizierenden Farmer oder Arbeiter eben nur dieses gemein: die Wurzeln.
Die linke Hand
Doch zur Sache: Häufig sah und sieht man – auch in sehr renommierten Gruppen – dass der Hals mit der Faust umklammert wird und die Finger nah beieinander liegen. In Fachkreisen nennt man das den „baseball bat grip“ (Baseballschlägergriff); der bekannte Jazzbassist Ray Brown nannte es „choking the chicken“ (das Huhn würgen).
Aus diesen etwas pejorativen Bezeichnungen ersieht man, dass der Bassist, der etwas auf sich hält, es vermeidet, der Öffentlichkeit seine Linke derart kompakt zu präsentieren.
Die Menschen, die im ländlichen Amerika des vorigen Jahrhunderts einen Kontrabass in der Hand hielten, kamen wahrscheinlich selten in den Genuss einer Ausbildung an Musikschule oder gar Konservatorium (im urban geprägten Jazz sah das schon etwas anders aus). Der Begriff „World Wide Web“ hätte zu dieser Zeit vielleicht eher Assoziationen mit Komintern geweckt, und sich aus einer gedruckten Kontrabassschule autodidaktisch eine saubere Technik anzueignen, war schon immer Wunderkindern (wie einem gewissen Monsieur Rabbath) vorbehalten.
Für diese Menschen also war dieser Griff aus mehreren Gründen gut geeignet:
- Die technischen Herausforderungen sind gering, es gibt keine schnellen Passagen zu spielen, und der gesamte benötigte Tonvorrat kann in der halben und ersten Lage abgegriffen werden. Ein Spruch unter (Studio-)Bassisten besagt: „There’s no money above the 5th fret.“ Die Aufgabe des Bassisten ist es, tiefe Töne zu spielen. Niemand – wirklich niemand – will vom Bass Genudel in den höchsten Lagen hören.
- Die Anforderungen an die Kraftausdauer sind geringer als bei klassischer Handhaltung. Wer nicht die Zeit aufbringen kann, täglich eine Stunde zu üben, wird bei klassischer Haltung schnell Ermüdungserscheinungen in der linken Hand verspüren, wenn er am Wochenende mehr als eine halbe Stunde am Stück spielt. In Zeiten von Stahlsaiten (zu diesen später mehr) tritt dieses Problem noch deutlicher hervor.
- Es gab damals keine kritisch kommentierende Internet-Community, die ihnen hätte erzählen können, dass sie das Instrument ja völlig falsch halten.
- Es funktioniert.
Da sich bis auf den dritten Punkt nichts geändert hat, findet man auch heute noch viele Bassisten, die, sich ihrer Wurzeln besinnend, den Bass munter „völlig falsch“ halten. Andererseits kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, dass einem niemand den Kopf abreißt, wenn man mit klassischer Handhaltung spielt.
Die rechte Hand
Der Vollständigkeit halber noch ein paar Worte zur rechten Hand: Kontrabasssaiten werden nicht mit den Fingerkuppen, sondern mit der Seite des ersten Fingergliedes von Zeige- oder Mittelfinger gezupft. Zupfen bedeutet in diesem Fall nicht, die Saite vom Griffbrett wegzuziehen und dann loszulassen – die Saite wird seitlich, parallel zum Griffbrett, ausgelenkt. Der Daumen wird an die Seite des Griffbretts nahe dessen Ende platziert. Je weiter man vom Steg entfernt zupft, desto weicher und dunkler wird der Klang. Das Optimum schwankt je nach Instrument, Saite und Kontext. Für Linkshänder mit Linkshänderinstrument gelten alle Handbezeichnungen natürlich umgekehrt.
Instrument und Saiten
Aus Geschichte und Ursprung des Bluegrass ergeben sich auch Eigenheiten bei der Wahl von Instrument und Saiten. Während man in Kreisen der Jazzer und Klassiker vollmassive Instrumente schätzt, ist im Bluegrass auch Sperrholz angesagt. Das liegt zum einen daran, dass altehrwürdige Instrumente in den Staaten, wenn überhaupt, nur in großen Orchestern und Konservatorien existierten. Zum anderen ist es eine sehr junge (und recht zweifelhafte) Errungenschaft der Ersten Welt, dass ein durchschnittlich gering verdienender Mensch einen komplett geschnitzten Kontrabass für etwa einen Monatslohn kaufen kann. Das ist nur möglich durch die Fertigung in sogenannten Billiglohnländern – in eben jener Ersten Welt bekommt man für das Geld nicht einmal das Material. Wollte man nun in heimischen Gefilden ein erschwingliches Instrument bauen, blieb nur das Verleimen von Furnier im industriellen Maßstab.
Gezupft klingen diese Bässe gar nicht mal so schlecht, und es verhält sich ein wenig wie bei E-Gitarre, Hammondorgel oder Rhodes-Piano – ein Derivat, an dessen Klang man sich gewöhnt hat und den man in manchem Kontext einfach erwartet. Das heißt natürlich nicht, dass ein Sperrholzbass im Bluegrass ein Muss ist. Aber wenn man mit einem Instrument von Testore, Amati oder da Salò auf einer Session aufkreuzt, würde es wahrscheinlich auch keiner merken – geschweige denn honorieren.
Zur Saitenauswahl
Was die Saiten betrifft, so staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Während die Menschheit bereits integrierte Schaltkreise entwickelte, schneller als der Schall flog, Atomkraftwerke baute und Satelliten ins All schoss, spielte ein Großteil aller Kontrabassisten noch nach alter Väter Sitte auf Saiten aus gezwirbelten und getrockneten Gedärmen von Wiederkäuern. Trotz aller Fortschritte in Forschung und Industrialisierung haben Stahlsaiten erst in den 1960er-Jahren begonnen, allgemein Fuß zu fassen. Im Bluegrass waren und sind Darmsaiten bzw. ihre synthetischen Surrogate beliebt. Das liegt einerseits an dem durch Aufnahmen zementierten Klangideal dieser Musik, andererseits hat es vielleicht – wie auch beim „baseball bat grip“ – etwas mit Rollenvorbildern zu tun. Außerdem kann ein Gelegenheitsmusiker auf diesen einfacher und länger spielen, ohne Tenosynovitis (oder Schlimmeres) zu riskieren.
Darmsaiten haben den Ruf, empfindlich zu sein und sich schnell zu verstimmen. Ersteres stimmt nur bedingt – wirklich empfindlich ist meistens nur die Umwicklung, egal ob Darm, Kunststoff oder Stahl darunter ist. Wahr ist, dass sie mehr Pflege benötigen. Dann halten sie aber auch sehr lange. Die Stimmstabilität ist nur bei umwickelten Darmsaiten zweifelhaft, die blanken halten ihre Stimmung gut. In Lautstärke und Projektion stehen Darmsaiten den Stahlsaiten in nichts nach, auch wenn das direkt am Instrument nicht so wirken mag. Fakt ist aber, dass man auf den Innereien toter Tiere musiziert und dass ein neuer Satz Darmsaiten einen empfindlichen Einschnitt in die Kasse darstellt. Erfreulicherweise gibt es mittlerweile Kunststoffsaiten, deren Klang gezupft kaum vom Original zu unterscheiden ist. Noch erfreulicher ist ihr Preis, denn sie unterbieten auch Stahlsaiten deutlich. Nur wer den rauen, lebhaften Charakter beim Arco nicht entbehren kann, muss noch auf teuren Leichen streichen – denn das bringt bisher leider kein Kunststoff. In jedem Fall sind Darm- und Kunststoffsaiten freundlicher zu Sehnen und Gelenken: Ein Satz Stahlsaiten bringt durchschnittlich 120 kg Zugkraft auf – und die wollen erst einmal gegriffen sein. Wie auch beim Instrument gilt, dass es letztlich keinen sonderlich interessieren wird, welche Saiten man spielt, solange man seine Rolle gut spielt.
Jeder Bass ist anders, und ob sich eine bestimmte Saite eignet, kann man leider erst sagen, nachdem man sie aufgezogen hat – ein teures Vergnügen. Meine Aussagen sind also mit entsprechender Vor- und Nachsicht aufzunehmen.
Ich spiele einen selbst gebauten Kontrabass. Bei der Besaitung bevorzuge ich blanken Darm für G (2,2 mm), D (2,8 mm) und A (3,8 mm) und als E Corelli „370 Forte“. Das liegt daran, dass ich außerhalb der Welt des Bluegrass gerne und viel arco spiele und bei der A-Saite das gleiche Timbre haben möchte wie bei D & G. Üblicher ist es, umsponnene E- & A-Saiten zu spielen. Von einer blanken, unumwickelten E-Saite rate ich prinzipiell ab – das ist etwas für Spezialisten. E und A müssen nicht zwingend einen Darmkern haben (wir erinnern uns an die Sache mit der Stimmstabilität); Aquila bietet mit der „22 series“ E- & A-Saiten, die gut zu Darm passen. Auch bei Gut-a-like wird man fündig. Ein heißer Tipp sind meiner Meinung nach auch Pirastros „Evah Pirazzi Slap“. Alle genannten haben einen Kunststoffkern. Möglich sind aber auch Stahlkernsaiten wie z. B. gut eingespielte Thomastik Spiros (weich) oder Jargar „Dolce“.
Wer im Bluegrass-/Roots-Kontext in die Welt der Darmsaiten hineinschnuppern möchte und auf diesen nicht arco spielen muss, sollte Gut-a-like ausprobieren. Sie lassen sich auch gut streichen, klingen dabei gar nicht schlecht, aber eben nicht wie Darmsaiten. Die Firma Efrano fertigt erschwingliche Darmsaiten; noch wichtiger ist aber, dass man dort alle Saiten problemlos in drei verschiedenen Stärken kaufen kann. Wer viel zwischen verschiedenen Genres springt und das echte Gedärm scheut, ist meiner Meinung nach mit umsponnenen Synthetiksaiten wie Pirastro „Evah Pirazzi“ bzw. „Obligato“ am besten beraten.
Bevor man sich ins intestinische Abenteuer stürzt, müssen Sattel und Steg an den größeren Saitendurchmesser angepasst und peinlichst von scharfen Kanten befreit werden. Darmsaiten benötigen eine höhere Saitenlage als Stahlsaiten – ich würde sagen, durchweg mindestens 2 mm. Zur Pflege von (blanken) Darmsaiten: Vor dem Spielen sollte man sich die Hände mit Seife waschen und die Saiten nach dem Spielen mit einem Tuch abreiben. Unsere Haut hat ein saures Milieu, und zu viel davon setzt den Fasern auf Dauer zu. Von Zeit zu Zeit stehen an der Oberfläche kleine Fasern auf – diese keinesfalls versuchen abzureißen! Man beschädigt sonst die Saite. Man kann sie abknipsen oder mit einem Feuerzeug vorsichtig versengen. Beim Ölen scheiden sich die Geister – ich gehöre zu den öligen Schmierfinken und nutze dafür reines Mandelöl.
